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LAUREL HALO – Quarantine & King Felix

„Words are just words / Words are just words / That you soon forget.” Mit diesen Zeilen endet Quarantine, das jüngste Werk der New Yorker Künstlerin LAUREL HALO, das ganz offiziell als Erstling firmieren darf, waren es in den vergangenen zwei Jahren doch lediglich einige EPs und eine Reihe von Remixen, mit der die in Michigan in Rufweite Detroits aufgewachsene Musikerin auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Jedoch täte man ihr unrecht, betrachtete man jenes Frühwerk lediglich als zufällige Ansammlungen voneinander isolierter Tracks: Schon mit King Felix, Hour Logic und Antenna hatte HALO klar gemacht, dass es ihr nie um den Song an sich gehen würde, sondern immer um etwas darüber Hinausweisendes, um ein Konzept, welches den einzelnen Track zu transzendieren vermag. Auf King Felix im Jahr 2010 war das solider und sehr zeitgeistiger Elektropop, die EP bestand aus „Songs“ im traditionellen Sinne, getragen von Halos glockenklarer Stimme, die, wie sie nie zu verstecken versuchte, mithilfe von Autotune in der korrekten Tonlage gehalten wurde und die mit genug Hall und Echo soweit verfremdet worden war, dass man die Autorin nicht mehr unbedingt als sie selbst erkennen konnte. Antenna versammelte beatlose Meditationen, Synthesizer-Spielereien, Klangexperimente im eigentlichen Sinne, zusammen gehalten nur durch die schiere Wucht von HALOS Vorstellungskraft.

Hour Logic schließlich, im Sommer 2011 fast zeitgleich mit Antenna auf  dem Hipsterlabel der Stunde HIPPOS  IN TANKS erschienen, verdeutlichte dann erstmals das ganze Potential einer außergewöhnlichen, ja wahrscheinlich einzigartigen Künstlerin. Die größtenteils ohne Vocals erschaffenen Tracks negierten die Grenze zwischen Synthpop, hypnagogischer Psychedelik und Spielarten eher klassischer Tanzmusik wie Techno oder House so konsequent, dass nicht mehr ganz deutlich war, zu welcher Gelegenheit man solch höchst intellektuelle Musik eigentlich hören sollte: Tanzmusik, zu der man nicht tanzen konnte, hypnotische Musik, zu vertrackt und hektisch zur Kontemplation. So blieb nur die Auseinandersetzung. All dies kam noch einmal verstärkt zum Ausdruck im Titelstück, einem neunminütigen Monster, einer Apotheose des Techno, einem Track, der aus rein theoretischem Interesse die Bedingungen der Möglichkeit von Tanzmusik auszuloten schien: einem Prolegomenon einer jeden künftigen elektronischen Musik. Mit anderen Worten, Kunstkacke.

„Words are just words / Words are just words / That you soon forget.” Nun also Quarantine, LAUREL HALOS Debütalbum. Und erneut ist ihr keineswegs an Erfolgsrezepten gelegen, stattdessen wurde wieder, schon wieder, scheinbar der Reset-Knopf gedrückt. Wo King Felix mithilfe von HALOS Popsongs erschuf, wo Antenna mäandernde Studien entwarf, und wo Hour Logic die Grenzen des Techno überschritt, überall dort setzt Quarantine erst an, die vergangenen Ideen und Konzepte zugleich aufnehmend und schroff verwerfend. Plötzlich ist HALOS Stimme wieder im Vordergrund, schmerzhaft im Vordergrund mag man versucht sein zu urteilen, schließlich wurde diesmal auf den Einsatz technischer Hilfsmittel so gut wie ganz verzichtet. Kein Autotune, kein Hall verwandeln die stimmlich nicht ausgebildete und bisweilen unsichere Musikerin in eines dieser makellosen, entmenschlichten Wesen, die die Charts bevölkern und an deren musikalischer Duktus schon allzu vertraut klingt, so sehr, dass ein Vortrag wie hier: glasklare Vocals, oft ein paar Hertz über oder unter der „richtigen“ Frequenz, ungefiltert und ohne offensichtliche Effekte produziert, fast wie ein Affront erscheint.

Zumal die Mischung ebenfalls bemerkenswert ist: Der Gesang dominiert fast sämtliche Tracks, die sparsame Instrumentierung, zumeist eine größere Menge übereinander gelagerter Synth-Flächen, bleibt weit im Hintergrund, Beats sind so gut wie überhaupt nicht zu vernehmen und fungieren, wenn überhaupt, nicht als übergeordnete Strukturierung, sondern nur als subtile Unterstützung des vorhandenen, von Stimme und der oszillierenden Stimme Frequenz der Synths gehaltenen Rhythmus. Worte, so wird beim Hören schnell klar, sind eben nicht nur Worte, zumal in der Popmusik. So wie hier hat man Worte wohl noch nicht vernommen. Ob wir sie allerdings schon bald wieder vergessen haben werden, das wird sich erst zeigen. LAUREL HALO, soviel ist einmal mehr überdeutlich geworden, ist eine Suchende, und sicher wird ihr nächstes Werk einen erneuten Bruch mit überkommen Strukturen erzeugen, und vermutlich wird sie erneut zu überwältigen wissen.

Ein deutlicher Hinweis war bereits Spring, jene überaus faszinierende EP, die nur wenige Wochen vor Quarantine erschienen ist, und auf der sich drei von vier Tracks mit demselben gefilterten Orchester- Sample beschäftigen, mit Stukturen des Techno, House und Footwork spielend – eine EP, die unter dem Namen King Felix erschien, nicht LAUREL HALO, um mehr künstlerische Freiheit zu ermöglichen, wie sie mir kürzlich erzählte. Wer nach vier so unterschiedlichen Werken dennoch das Gefühl hat, andere Namen annehmen zu müssen um sich kreativ ausleben zu können, der ist, soviel scheint sicher, noch lange nicht am Ende angekommen.

Erschienen ist Quarantine bei HYPERDUB, jenem Londoner Label, das von vielen ausschließlich mit Dubstep und anderen Varianten des britischen Underground in Verbin- dung gebracht wird, das aber schon immer jenseits des Tellerrandes wegweisende Musik zu suchen bereit war. Und wegweisend, nichts weniger und nichts anderes ist Quarantine.

Links: Blog / Soundcloud

HENNING LAHMANN ist der Kopf hinter NO FEAR OF POP und schreibt auch sonst hier und da über Musik

Artwork: HYPERDUB