5 Fragen an

NATE WILLIAMS ist eine wichtige Größe in der Welt der Illustration. Zwei bedeutende Design-Plattformen hat er ins Leben gerufen: LETTER PLAYGROUND, die eine Heimat für Fans handgemachter Schriftarten ist und ILLUSTRATION MUNDO, auf der kreative Köpfe ihre Liebe zur Illustration, Animation, Schrift und allem, was dazwischen liegt, miteinander teilen können. Über diese Community-Projekte hinaus hat der US-Amerikaner über die Jahre ein umfangreiches Werk geschaffen: Eine versponnene Welt aus Löwen, Allraketen und handgemalten Schriftarten. CARTOUCHE stellte dem Designer fünf Fragen über seine Arbeit, seine Einflüsse und seinen Alltag.

1. Wiederkehrende Themen in meiner Arbeit…?

… gibt es drei. Das erste Thema lautet: BE AWARE OF NEWS AND ENTER- TAINMENT. Vor langer Zeit habe ich aufgehört, den Nachrichten zu trauen. Der Grund dafür waren die Anti-WTO-Proteste in Seattle 1999. Die Medien übertrieben damals maßlos. Klar, es gab Ausschreitungen, die ganze Stadt hat trotzdem nicht gebrannt. Ich war selbst vor Ort und konnte mir mein eigenes Bild von der Situation machen. Meine Freunde riefen mich an, nachdem sie die Schreckens-Berichte im Fernsehen gesehen hatten, um mich zu Fragen, ob ich wohlauf sei. Das fand ich sehr unheimlich.

Das zweite Thema ist LOVE AND OPTIMISM. Die Nachrichten können dir glauben machen, dass es nur Schlechtes auf der Welt gibt. Wenn du aber den Fernseher abschaltest, nach draußen gehst, reist und dich mit Freunden triffst, dann merkst du, wie schön der Planet ist, auf dem wir leben. Ich glaube an das Gute im Menschen, dass wir uns in Wirklichkeit alle lieben und gegenseitig aufeinander achten.

Das letzte wichtige Thema heißt NURTURE YOUR SUBCONCIOUS, es ist inspiriert von meiner Zeit bei MICROSOFT, wo ich lange als Webdesigner tätig war. Zwar war der Job dort eine interessante Erfahrung für mich, denn fehlte mir das Intuitive, das Unterbewusste. Da ich das nicht missen wollte, rief ich das Zine HOLA MIGA ins Leben. Wenig später entschied ich mich dazu, das Projekt auszuweiten und dehnte die Erkundung meines Unterbewusstseins auf andere Bereiche meines Leben aus. Ich lernte Sprachen, lebte in einem anderen Land, erweiterte mein Wissen über Geschichte und die Natur und, das ist das wichtigste, nahm mir Zeit, zu denken, zu hinterfragen, zu entdecken und neue Erfahrungen zu sammeln.

2. Ich habe eine Leidenschaft für handgemachte Schriftarten, weil…?

… sie den Worten eine Stimme geben. Auf einem unterschwelligen Niveau erzählt eine Schriftart dem Betrachter, wie er ein Wort zu interpretieren hat, genauso wie bei einem Horrorfilm die Musik. Ohne die richtige Hintergrund- musik würde kein Gruselstreifen bestehen!

3. Meine wichtigsten visuellen Inspirationen sind…?

{Punk Flyers aus Berkley}

{Mexikanische Holzschnittkunst}

{Nahrungsmittelverpackungen aus Japan}

{Marisol Escobar}

{Picasso}

4. Mein gewöhnlicher Arbeitstag…?

… beginnt damit, dass ich mich um meinen Sohn kümmere und ihn zur Schule bringe. Ist das erledigt, treffe ich mich mit einem Freund zum Kaffee oder ich gehe in den Park, um mir ein paar neue Ideen zurechtzulegen und Skiz- zen anzufertigen. Wenn ich nach Hause komme, beantworte ich Emails und widme mich den Dingen, für die ich einen Computer brauche. Später gehe ich dann ins Fitnesscenter oder raus zum Joggen, drehe mit meinem Hund eine Runde, esse Mittag und hole schließlich meinen Sohn von der Schule ab. Am Nachmittag unternehme ich dann etwas mit ihm. Entweder gehen wir in den Park, fahren Fahrrad, malen oder spielen, lesen etwas oder schauen einen Film. Danach arbeite ich dann wieder für eine Weile, kümmere mich gemeinsam mit meiner Freundin ums Abendbrot und gehe noch einmal mit meinem Hund Gassi. Spät am Abend surfe ich dann im Internet, schaue Fernsehen oder lese.

5. Ein erfolgreicher Illustrator…?

… braucht einen einzigartigen Stil, technische Fähigkeiten, Marketingkenntnisse und die richtige Einstellung. Ich habe einen Artikel zu dem Thema geschrieben, er heißt „How to start your Illustration Career„.

Links: n8w / hola amiga / alexander blue / illustration mundo / letter playground

JAMIE JONATHAN BALL illustriert und erzählt Geschichten unter dem Synonym LITTLE KINGDOMS EU. Er wurde das letzte mal in Nordindien gesehen.

Foto: NATE WILLIAMS

 

Gespräche

SEBASTIAN COWAN hat eine simple Lebensphilosophie: „Stehe früh auf und nutze den Tag”. Sein Erfolg gibt ihm Recht. Gerade mal 25 Jahre alt ist der gelernte Toningenieur aus Vancouver Chef seines eigenen Labels ARBUTUS RECORDS und Manager von Kritikerliebling GRIMES. Davor war er Betreiber einer der wichtigsten Live-Venues in Montreal, dem LAB SYNTHÈSE, das er im Alter von 21 Jahren mit ein paar Freunden eröffnete. Im SKYPE-Gespräch mit CARTOUCHE sprach SEBASTIAN über den Konzertraum, sein Label ARBUTUS RECORDS und die Musikszene Montreals. Auch verriet er, warum er so gerne früh aufsteht.

Guten Morgen SEBASTIAN, wie geht es dir?

SEBASTIAN: Ganz gut soweit. Ich habe schon einiges erledigt heute, ich war bei der Bank und auf der Post und habe gerade ein zweites Mal gefrühstückt. Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch im Büro von ARBUTUS RECORDS.

Du stehst also gerne früh auf? 

Richtig, gewöhnlich schon um sieben! Ich liebe den Morgen, ich kann dann besser arbeiten. Abends gehe ich zeitig ins Bett.

Das klingt sehr vernünftig für jemanden der 25 Jahre alt ist. In Berlin ist man in diesem Alter einen ganz anderen Rhythmus gewöhnt, hier beginnt der Tag in der Regel etwas später.

In Montreal ist das nicht anders. Die meisten meiner Freunde gehen spät ins Bett und schlafen dann aus. Das ist einfach nicht mein Ding. Ich nutze lieber den Tag.

Mit Erfolg. Du warst Betreiber einer erfolgreichen Musikvenue und hast jetzt dein eigenes Label. Wann wurde deine Leidenschaft für Musik geweckt?

In der Highschool. Einige meiner Freunde waren richtige Musiknerds und steckten mich mit ihrer Begeisterung an. Ich hörte alles, was ich kriegen konnte. Kurz darauf fing ich an, in mehreren Bands Schlagzeug zu spielen. Als ich dann später in London studierte, machte ich elektronische Musik. Die Alben, die WARP RECORDS in den 90ern herausgebracht hat, hörte ich damals rauf und runter.

Wie kamst du auf die Idee, eine eigene Venue in Montreal aufzumachen?

Nach meinem Studienabschluss in London wollte ich mein eigenes Ding durchziehen. Die Idee für die Venue stand bei mir uns meinen Freunden schon länger im Raum. Die Frage war nur wo. Wir haben uns für Montreal entschieden, weil die Stadt der perfekte Ort für Kunst und Musik ist. Das Leben hier ist so billig, dass du auch ohne Job gut über die Runden kommst. Acht Monate nachdem wir das LAB SYNTHÈSE aufgemacht hatten, beging einer von uns, mein bester Freund DAVID, Selbstmord. Das war ein großer Wendepunkt in meinem Leben. Ich verließ Montreal und ging zurück nach Vancouver. Die anderen beiden taten es mir gleich.

Und was wurde aus dem LAB SYNTHÈSE?

Das hatte ich eigentlich schon abgehakt. Ich wollte nicht mehr zurück nach Montreal. Doch dann rief mich eines Tages mein Bruder ALEX an und sagte mir, dass in dem Projekt noch eine Menge leben stecke. ALEX war kurz zuvor in das Lagerhaus gezogen, in dem sich die Venue befand und in dem damals alle wohnten. Seine Worte hatten mich überzeugt. Ich sagte mir, es ist besser etwas zu tun, als nur rumzuhängen. Nach meiner Rückkehr hatte ich den Plan aus dem LAB SYNTHÈSE ein großes Gemeinschaftsprojekt zu machen. Auf jedem Konzert sollte mindestens ein Freund von mir spielen. In dem Zeitraum wuchs mein Freundeskreis rasant.

Warum hat du ARBUTUS RECORDS gegründet?

Bei LAB SYNTHÈSE ging es nach DAVIDS Tod darum, Freunden zu helfen und ihnen eine Plattform zu bieten. Da ich sie auch außerhalb des LAB SYNTHÈSE unterstützen wollte, beschloss ich ein Label aufzumachen. Mit der Zeit wurde das Label immer wichtiger für mich, weswegen ich mich dazu entschied, die Venue dicht zu machen. Diese Entscheidung war wie so viele andere zuvor rein intuitiv. Ich denke über solche Dinge nicht lange nach, es passiert einfach.

Wie laufen die Geschäfte bei ARBUTUS RECORDS?

Ich kann mich nicht beklagen, wir wachsen stetig! Zwar wirft das Label noch kein Geld ab, aber ich bin sicher, das ist nur eine Frage der Zeit.

Wovon lebst du dann im Moment?

Ich verdiene mein Geld als Tontechniker in Clubs. Aber ich glaube, ich werde das bald sein lassen. Auch wenn es nicht sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ist es sehr anstrengend, zusätzlich zu meinem Job bei ARBUTUS RECORDS die ganze Nacht zu arbeiten. Ich brauche Zeit, um mich auszuruhen.

Ich finde es sehr mutig gerade jetzt ein Label zu gründen. Schließlich stecken Musiklabels seit Anbruch der digitalen Revolution in ihrer größten Krise.

Labels haben in der Tat an Bedeutung verloren, weil man sich heute um vieles selbst kümmern kann. Man kann seine Alben zuhause am Computer aufnehmen und anschließend über das Internet vertreiben. Einen PR-Agenten und einen Booker anzuheuern stellt ebenfalls kein großes Problem dar. Das war vorher viel schwieriger. Dennoch können Labels sehr nützlich sein, besonders für kleinere Bands sind sie noch immer eine gute Option.

Inwiefern?

Labels haben in der Regel gute Beziehungen, weil sie schon lange im Business sind. Versuch mal als unbekannter Künstler einen Vertrag mit einem Vertrieb zu den selben Konditionen auszuhandeln, wie WARNER BROTHERS RECORDS sie bekommt – das ist unmöglich!

Dennoch scheinen die Tage klassischer Labels gezählt zu sein. Was macht ihr besser?

Wir verlegen nicht nur Musik, sondern kümmern uns auch ums Management. Das hat klare Vorteile: Da du dem einzelnen Künstler auf allen Ebenen zur Seite stehst, entwickelt sich eine viel engere Beziehung. Dadurch weißt du immer, was der jeweilige Künstler braucht.

Anders als andere Labels verkauft ihre eure Musik nicht nur, sondern bietet an, sie gegen eine Spende oder kostenlos herunterzuladen. Warum?

Das ist einfach: Was einem Künstler am Anfang seiner Karriere am meisten hilft, ist, dass so viele Menschen wie möglich seine Musik hören. Wenn du deine Musik verschenkst, erreichst du selbst diejenigen, die sich gar nicht für die Musik interessieren. Mit dem Debütalbum Geidi Primes von GRIMES sind wir so verfahren und hatten damit großem Erfolg.

Und wie läuft es mit den Spenden?

Auch sehr gut. Jeden Tag spenden im Schnitt zwanzig Leute Geld. Zwar verdienen wir damit nicht so viel wie durch Verkäufe, dennoch sind die Spenden eine gute zusätzliche Einnahmequelle.

Wäre das also ein Modell für die Zukunft?

Die Zukunft liegt eindeutig im Streaming, da Hörer und Künstler davon gleichermaßen profitieren. Die einen können sich Musik kostenlos anhören, die anderen bekommen für jeden gehörten Song einen festen Betrag ausgezahlt.

Seit neuestem kann man einem Sampler mit verschiedenen Bands aus Montreal kostenlos auf der ARBUTUS-Internetseite herunterladen. Sind all die Bands auf dem Sampler ebenfalls Freunde von dir?

Ja, das sind sie. Alle Bands kommen aus dem Umfeld des LAB SYNTHÈSE. Du musst wissen, dass die Bands auch untereinander gut befreundet sind. Viele der Musiker spielen in der Band des anderen. Das liegt zum einen daran, dass wir alle Englisch sprechen und somit eine Minderheit in Montreal sind. Zum anderen leben wir alle im selben Viertel, weshalb wir uns oft sehen. Ich liebe diesen Vibe.

Das klingt in der Tat verlockend. Welche Rolle spielte das Lab Synthèse für die Szene?

Eine sehr große: Die meisten Bands haben im LAB SYNTHÈSE ihre ersten Live-Erfahrungen gesammelt. Andere wiederum waren so begeistert von der Atmosphäre, dass sie ihre eigene Band gründeten. So auch GRIMES. Bevor CLAIRE BOUCHER anfing im LAB SYNTHÈSE abzuhängen, hatte sie hauptsächlich gemalt. Eines Tages zeigte sie meiner damaligen Freundin einen Song, den sie aufgenommen hatte. Ich war so beeindruckt von ihrer Stimme, dass ich sie unbedingt auf ARBUTUS RECORDS rausbringen wollte. Sie willigte ein und so nahmen wir kurze Zeit später ihr Debütalbum Geidi Primes auf.

Wer hat die Nachfolge des LAB SYNTHÈSE angetreten?

Es gibt viele gute Konzerträume in der Stadt. Einer davon ist die Loft-Venue LA BRIQUE. Dort gibt es nicht nur eine Bühne, sondern auch Proberäume und ein Studio. Unser Büro ist dort ebenfalls unterge- bracht. Das Gebäude, in dem sich LA BRIQUE befindet, ist eine ehemalige Textilfabrik, die in den 60ern geschlossen wurde und in den 90ern von Künstler angemietet wurde. Das kennst du sicher auch aus Berlin!?

Richtig, die Stadt ist noch immer ein großer Abenteuerspielplatz. Hast du schon neue Pläne geschmiedet?

Nicht wirklich. Ich mache erstmal mit ARBUTUS RECORDS weiter, schließlich läuft es gerade sehr gut für uns!

Links: ARBUTUS RECORDS / MONTREAL COMPILATION VOL I / VOL II 

Foto: MARILIS CARDINAL