Gespräche

Das australische Duo CIVIL CIVIC spielt atemberaubende Instrumentalmusik. Über verzerrte Bassläufe und Punkriffs legen die beiden Freunde AARON CUPPLES und BENJAMIN GREEN Melodien, die eingängiger nicht sein könnten. Ihre 2010 erschienene Single „Less Unless“ schlug in der Blogosphäre ein wie eine Bombe. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Band mit Rules ihr Debütalbum. Dieses hat eine ganz eigene Entstehungsgeschichte. Nicht nur, dass es zum Großteil via Email geschrieben wurde, waren es die Fans, die das Mastering und die Pressung mitfinanzierten. Im Gespräch mit CARTOUCHE zeichneten die beiden Freunde die Entstehung ihres Erstlingswerks in allen Einzelheiten nach und berichteten, auf welche Weise sie bei ihrer Arbeit vom Web 2.0 profitieren. 

BEN, AARON, wie habt ihr euer Debütalbum Rules geschrieben? Ihr lebt ja nicht einmal in derselben Stadt. BEN, du wohnst in Barcelona und AARON, du in London.

BEN: Die Distanz stellte kein großes Hindernis dar. Statt zu jammen schickten wir uns Song-Ideen in Form von Audio-Dateien hin und her. Das waren in der Regel fast fertige Songs, zu denen der andere seinen Part hinzufügte, vorausgesetzt das Demo gefiel ihm.

Rules wurde von euren Fans mitfinanziert. Wie kam es dazu?

AARON: Wir wollten unser Album auf Vinyl veröffentlichen, hatten aber nicht das notwendige Geld dafür. Deshalb fragten wir unsere Fans, ob sie nicht Interesse an einem Vinyl-Exemplar von Rules hätten und ob sie bereit wären, drei Monate im voraus dafür zu bezahlen. Den Spendenaufruf posteten wir bei FACEBOOK, das Geld sammelten wir über die Crowdfunding-Plattform INDIEGOGO.

BEN: Die Resonanz war umwerfend! 200 Leute spendeten Geld, was uns die Möglichkeit gab, das Album in einem professionellen Studio mastern zu lassen und die Pressung von 2000 Schallplatten und CDs zu finanzieren.

Und wir habt ihr die Kosten für das Tonstudio und das Artwork gedeckt?

AARON: Das brauchten wir nicht. Wir nahmen das Album in BENS Schlafzimmer auf. Das war im Sommer 2011 während des Festivals PRIMAVERA SOUND in Barcelona. Am Tag spielten wir die Bassparts ein, in der Nacht gingen wir feiern!

BEN: Das Plattencover haben wir ebenfalls selbst entworfen. Rules ist zu 100% made by CIVIL CIVIC.

Warum habt ihr euch dazu entschieden, die Produktion selbst zu stemmen? War es, weil ihr keine Labels mögt? Oder habt einfach keins gefunden?

BEN: Wir haben uns nicht nach einem Label umgeschaut, weil es nicht notwendig war. Schließlich sind wir beide in Tonstudios aufgewachsen und wissen daher, wie man Musik aufnimmt. Warum hätten wir da den Weg über ein Label gehen sollen? Das machte für uns keinen Sinn, zumal es uns nur unnötig Geld gekostet hätte.

AARON: Dennoch wäre es manchmal schön ein Label zu haben, das uns dabei hilft unser Album zu bewerben. Im Gegensatz zu etablierten Labels haben wir weder das Geld noch die notwendigen Kontakte, um eine große Werbe- kampagne anzustoßen. Das ist auch der Grund, warum wir soviel touren: Wir müssen unser Album promoten.

Das könnte auch eine PR-Agenur übernehmen. Sind Labels überhaupt noch notwendig?

AARON: Das denke ich schon, vor allem für Bands, die weder über das nötige Kapital noch über die Fähigkeiten verfügen, die man braucht, um ein Album in Eigenregie produzieren zu können.

Wäre es ohne die Möglichkeiten des Web 2.0 so einfach gewesen, 200 Leute für die Vorfinanzierung zusammen zu bekommen?

BEN: Das wäre bestimmt irgendwie gegangen, es wäre aber der reinste Albtraum gewesen! Früher war für eine derartige Aktion ein gewisser Bekanntheitsgrad oder eine umfangreiche Mailing-List notwendig.

An welcher Stelle habt ihr noch vom Web 2.0 profitiert?

BEN: Bei der Produktion unserer Musikvideos. Die Videos, die wir für CIVIL CIVIC gemacht haben, bestehen zum Großteil aus Material, das wir bei YOUTUBE gerippt und anschließend neu zusammengefügt haben. Der gelungenste Clip ist das Video zu „Run Overdrive“. AARON hat da wirklich ganze Arbeit geleistet.

Ihr nutzt also die stetig wachsenden Archive des Netzes. Wie sieht es mit Blogs aus?

AARON: Blogs haben uns sehr geholfen! Einen Großteil unserer Hörerschaft haben wie über die vielen großen und kleinen Musikblogs erreicht, die positive Kritiken über uns geschrieben haben.

BEN: Wir hatten großes Glück! Es gibt eine Menge Bands, die ihre Musik an hunderte Blogs schicken, ohne dass diese über sie schreiben. Unsere Single Less Unless hingegen wurde kurz nach ihrer Veröffentlichung von einigen Blogs aufgegriffen und weiterempfohlen. Am Ende schrieben hunderte von Blogs über unsere Musik.

AARON: Musikblogs haben über die letzten Jahre extrem an Bedeutung gewonnen. Viele Musikmagazine schreiben von ihnen ab, Labels nutzen sie für die Talentsuche. Alles wurde auf den Kopf gestellt.

Ihr scheint von den neuen Verhältnissen auf allen Ebenen zu profitieren.

AARON: Es sieht ganz so aus. Manche Leute sagen, die Welt sei in den letzten zehn Jahren sehr komplex geworden. Das mag stimmen. Auf der anderen Seite ist die Welt aber auch ein großes Stück zusammengewachsen. Viele Barrieren, die vorher unüberwindbar schienen, sind verschwunden. Man muss nicht mal mehr in derselben Stadt wohnen, um ein Album zu schreiben. Das ist eine tolle Sache!

FOTO: CIVIL CIVIC 

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Editorial

Liebe LeserInnen,

es ist vollbracht. Nach intensiver Vorbereitung präsentieren wir Euch die erste Ausgabe des CARTOUCHE-Magazins. Das Heft ist eine Erweiterung unseres Blogs www.cartouche-blog.de, den wir vor einem Jahr gegründet haben, um Bands und DesignerInnen eine Plattform zu geben, die in den deutschsprachigen Medien zu kurz kamen oder ganz und gar vergessen wurden.

Ein wichtiger Bestandteil von CARTOUCHE sind Interviews, in denen wir mit unseren HeldInnen darüber sprechen, was sie bewegt. Ein immer wiederkehrendes Thema ist dabei die digitale Revolution. Wie gehen KünstlerInnen mit ihr um? Nutzen sie die Digitalisierung für ihre Zwecke oder fühlen sie sich von ihr bedroht? Chillwave Pionier CHAZ BUNDICK, das Noise-Duo CIVIL CIVIC und OWEN ASHWORTH standen uns auf unserem Blog zu diesen Fragen Rede und Antwort.

Doch warum ein Heft? Hat Papier nicht längst ausgedient? Ja und Nein. Es stimmt, dass sich Papierprodukte in Sachen Aktualität mit Internetblogs nicht messen können. Das müssen sie auch gar nicht, schließlich haben gedruckte Magazine ganz andere Stärken. Da wäre zum einen die Haptik. Gibt es etwas Schöneres, als in der neuesten Ausgabe seines Lieblings-Magazins zu blättern, dabei das Papier zu fühlen und den Geruch von Druckerschwärze in der Nase zu haben? Solche Erlebnisse, bei denen mehrere Sinne gleichzeitig reagieren, können Blogs nicht bieten. Zum anderen widmet man einem Magazin viel mehr Zeit. Angesichts der teilweise umfangreichen Länge unserer Texte war die Entscheidung ein Heft zu machen also pragmatischer Natur. Schließlich wollen wir, dass gelesen wird, worüber wir schreiben.

Denn unsere Texte sind uns wichtig. Unter anderem finden sich in dieser Ausgabe Interviews mit der Newcomer-Band WIDOWSPEAK, die in ihrer Musik den Geist alter Westernfilme beschwören und mit OWEN ASHWORTH, der nicht mehr unter dem Namen CASIOTONE FOR THE PAINFULLY ALONE unterwegs ist und Anfang Mai das erstes Album seines neuen Projekts ADVANCE BASE veröffentlicht. PAUL SOLBACH geht in seinem Text der Frage nach, warum Mainstream-Musik früher besser war. JONATHAN JARZYNA und JJ WEIHL haben für uns die Bands der Stunde aus Berlin auf einer CD versammelt und MARIE-THERESE HAUSTEIN portraitiert den Designer VLADIMIR KARALEEV.

Wir wünschen Euch viel Spaß beim Durchblättern, Lesen und Hören.

Die Redaktion von CARTOUCHE.