//Sessions

Brooklyn! Nachdem Manhattan nun endgültig zum „playground for the privileged“ (Michael Gira, Mastermind der New Yorker No-Wave-Combo Swans) verkommen ist, zieht es immer mehr MusikerInnen in den Bezirk jenseits der Brooklyn Bridge. Aus der jungen Musikszene Brooklyns sind einige der aufregendsten Acts des letzten Jahrzehnts hervor gegangen: Animal Collective, CocoRosie, LCD Soundsystem, TV on the Radio und MGMT sind die prominentesten VertreterInnen. Außer ihnen gibt es eine Vielzahl neuer und nicht minder interessanter Bands, die dort in der letzten Zeit aus dem Boden geschossen sind. Ihre Namen lauten Woods, Real Estate oder Vivian Girls. Wie Woods-Bassist Kevin Morby im Gespräch mit cartouche. berichtete, hängen die Bands nicht nur miteinander ab, sondern machen wie im Fall seines Nebenprojekts The Babies auch gemeinsam Musik. Für die neue Episode von //Sessions haben wir die Newcomer Dutch Treat und Widowspeak sowie die Szene-Veteranen Woods einmal genauer unter die Lupe genommen.

Am 14. Juni veröffentlichte die Folk-Combo Woods ihr neues Album Sun and Shades. Die 2005 gegründete Band ist ein wichtiger Knotenpunkt in der Lo-Fi-Szene Brooklyns. Auf ihrem 2006 gegründeten Label Woodsist Records erschienen die Debütalben namenhafter Bands und KünstlerInnen wie Kurt Vile, Real Estate, Wavves oder Crystal Stilts. Um den Lo-Fi-Charakter des Labels zu betonen, bringen die Woodsist-Labelmacher alle Aufnahmen auf Kassette raus. Auch das fünfte Album der Woods ist als Tape erhältlich. Auf ihm sind  neben den erstklassigen Folk-Nummern „Any Other Day“ und „Pushing Onlys“ die beiden längeren Instrumental-Stücke „Sol y Sombre“ und „Out of the Eye“ enthalten. Letztere ist eine verspielte Krautrock-Nummer, die in ihren besten Momenten an Neu! und Can erinnert.

Links: woodsist records / mysapce

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Kommen die 50er zurück? Die in dieser Woche auf Captured Tracks erscheinende EP Gun Shy des Trios Widowspeak wirft diese Frage auf. Auf ihr verabschiedet sich die Band vom Shoegaze-Sound ihrer Debüt-EP Harsh Realm und knüpft stattdessen an den nordamerikanischen Rock der 50er-Jahre, genauer: den domestizierten Mittelklasse-Rock von Bands wie The Shadows oder The Ventures, an. Bereits auf dem im März erschienenen Debütalbum Badlands von Alex Zhang Hungtai alias Dirty Beaches finden sich Verweise auf die goldene Ära des Rock. Im Gegensatz zu den staubtrockenen Gitarrenriffs Widowspeaks ist der Sound von Dirty Beaches um einiges psychedelischer. Hungtais Songs klingen wie ein Nachruf auf jene Zeit, als Bill Haley mit seinem „Rock Around the Clock“ dem Rock ’n’ Roll international zum Durchbruch verhalf und Elvis Presley seine weiblichen Fans in Ekstase brachte. Für Pitchfork stellte der Musiker kürzlich ein Tape zusammen, auf das er seine Lieblingssongs aus der Zeit packte. 50’s-Rock scheint also tatsächlich ein Comeback zu erleben.

Links: bandcamp / captured tracks / dirty beaches / dirty-beaches-mixtape

http://www.youtube.com/watch?v=3_l8bp5M6kA

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Weniger Rock mehr Pop gibt es hingegen bei Dutch Treat, deren Musik sehr an die Sarah-Records-Band Heavenly erinnert. Im Internet kursieren von dem 2010 gegründeten Quartett bisher lediglich einige Rough-Mixes und ein Live-Auftritt bei dem New Yorker Radiosender Newton Radio. Ihr Song „Chastitiy“ klingt jedenfalls äußerst vielversprechend. Auch Woods-Bassist hat die Band auf dem Schirm. „Dutch Treat zählt definitiv zu meinen Lieblings-Newcomer-Bands aus New York“, sagte er gegenüber cartouche.

Links: myspace

//Gespräche

Keine andere Stadt weist aktuell eine so hohe Dichte an relevanten Bands auf wie New York. Vor allem in Brooklyn sind neben größeren Acts wie Animal Collective oder LCD Soundsystem eine ganze Reihe kleiner Punk- und Folkbands wie Vivian Girls, Real Estate oder Woods zuhause. Zu den neuesten Errungenschaften der Szene zählt die Rock-Combo Babies, die von Woods-Gitarrist Kevin Morby und Vivian-Girls-Sängerin Cassie Ramone gegründet wurde. Am 24. März spielte die Band im Marie Antoinette und verriet im Gespräch mit cartouche., wie hohe Mieten die eigene Produktivität fördern können und wer die wichtigsten Akteure der DIY-Szene Brooklyns sind.

In seinem Song „Hard Times In New York Town“ thematisierte Bob Dylan einst sein zwiespältiges Verhältnis zu der amerikanischen Weltmetropole. Zum einen lobte er die Energie der Stadt, zum anderen monierte er den harten Alltag. Ihr wohnt alle in Brooklyn, wie würdet Ihr New York beschreiben?

Cassie: Ich sehe die Stadt ähnlich wie Dylan. New York ist großartig, aber das Leben dort ist sehr hart. Da die Mieten extrem teuer sind, ist man dazu gezwungen ständig produktiv zu sein. In anderen Städten reicht es aus, zwei Tage die Woche arbeiten zu gehen, um die Miete zahlen und sich etwas zu Essen kaufen zu können. In New York City geht das allerdings nicht. Erstaunlicherweise ist es genau das, was die Leute in die Stadt treibt. Viele entfalten unter dem finanziellen Druck erst ihr vollständiges künstlerisches Potenzial, weil sie gezwungen sind in jeden Bereich ihres Lebens kreativ zu sein. Mich persönlich motiviert die Stadt dazu, rauszugehen und Musik zu machen.

Kevin: Du kannst einfach nicht still zuhause sitzen bleiben. Wegen der hohen Mieten bist du dazu gezwungen, dein Leben ständig zu rechtfertigen und hast deshalb den Drang, immer etwas machen zu müssen. Wir haben zwei Monate in Kalifornien gelebt, wo alles viel billiger ist. Dort war es vollkommen okay, mal zuhause zu bleiben und sich zu entspannen. Wenn du das in New York machst, erklären dich die Leute für verrückt.

Ist es trotz des teuren Lebens möglich in Brooklyn von der Musik zu leben?

Cassie: Klar geht das. Man muss sich einfach nur reinhängen. Schau mich an: Mit dem Geld, dass ich mit meinen Musikprojekten verdiene, schaffe ich es problemlos, alle meine Rechnungen zu bezahlen. Zwar habe ich keinen extravaganten Lebensstil, schlecht geht es mir aber trotzdem nicht. Ich bin stolz darauf, mich nie verkaufen oder irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen.

Von außen betrachtet wirkt die Musikszene in Brooklyn sehr lebendig und gut vernetzt. Was ist euer Eindruck?

Cassie: Die Szene in Brooklyn wächst stetig. Widowspeak und Dutch Treat sind zwei neue aufregende Bands aus Brooklyn. Von Big Troubles, Nude Beach und K Holes ganz zu schweigen.

Kevin: Das schöne daran ist, dass fast alle miteinander befreundet sind. Der Bassist der K Holes und Cassie teilen sich ein Studio. Ich wiederum wohne mit unserem Produzenten Jarvis Taveniere zusammen. Jarvis hat außer dem Babies-Debüt auch die Platten der Vivian Girls, von Widowspeak, Real Estate und meiner anderen Band, den Woods, aufgenommen. Er ist ein integraler Bestandteil der Szene.

Wer ist sonst noch wichtig in der Szene?

Cassie: Todd P. ist eine weitere Schlüsselfigur in Brooklyn. Todd ist ein guter Freund von mir und hat sich als Konzert-Promoter einen Namen in der Szene gemacht. Trotz seines Erfolgs versucht er die Konzertpreise billig zu halten und engagiert sich für die Community. Viele Leute sagen: „Oh man, Todd P. kontrolliert alles“, dabei versucht er nur jeden dazu zu bringen das zu machen, was er macht. Er hat anderen Promotern auf die Beine geholfen, ich denke er macht einen guten Job in Brooklyn.

Welche sind die wichtigsten Spots in Brooklyn?

Kevin: Zentrale Clubs wären das Glasslands, Monster Island Basement, Death By Audio und das Market Hotel. Es gibt aber auch Lofts und Lagerhäuser, in denen es regelmäßig Shows gibt. Besonders oft laufen dort Houseparties.

Was sind „Houseparties“?

Kevin: Das sind kleine Gigs, die manchmal in normalen Wohnungen stattfinden und die verrückter und lockerer sind als normale Konzerte. Viele Bands nutzen die Auftritte auf diesen Parties, um runter zu kommen. Es ist genau dieser Vibe, den wir an Brooklyn so sehr mögen.

Links: the babies / woods / vivian girls / dutch treat / widowspeak

(FOTO: JJ WEIHL)